Neulich kam ich während einer Mediationstagung neben einer sichtlich aufgebrachten Dame zu sitzen. Bald erfuhr ich, was sie bewegte: Sie sei Psychotherapeutin, erzählte sie. Gemeinsam mit ihren Kollegen habe sie schon „Mediationen“ durchgeführt, bevor es den Begriff gegeben habe. Sie nenne das „Beratung“ und basta. „Mediation“, das komme aus den USA und sei etwas für Wichtigtuer. So von ihr ausgespuckt klang das Wort wirklich etwas aufgeblasen. Oha.
Nun, im Vergleich mit der Dame bin ich in unserem Fach ein Greenhorn. Möglicherweise historische Übergriffe eitler amerikanischer Mediationsmissionare in das Aufgabengebiet hiesiger Psychotherapeuten habe ich nie miterlebt. Den Begriff „Mediation“ habe ich vielmehr ganz unreflektiert und zufrieden übernommen, höchstens mal leise gegrummelt, wenn ich wieder irgendwo als „dahli.meditation“ auftauchte. Zudem gibt es ja tatsächlich viele beratend Tätige, die sich nicht als VerkünderInnen von Weisheiten verstehen, sondern ihre Kundschaft ganz im Sinne der Mediation dabei unterstützen, Ideen und Lösungen zu erarbeiten, die ihren ureigenen inneren Wahrheiten entspringen. So, davon gehen wir ja aus, ist die Wirkung viel nachhaltiger, als wenn Menschen mit unseren ihnen übergestülpten mehr oder weniger professionellen Ansichten glücklich werden müssen. Des Weiteren kommt es ja auch in meinen Mediationen (selten) oder Coachings (manchmal) vor, dass ich Anregungen gebe, wenn ein Prozess stockt – selbstverständlich immer ohne die Erwartung, dass meine Ideen übernommen werden. Bin ich also Beraterin?
Spätestens auf dem Weg zur U-Bahn war mir nach der Tagung klar, dass ich der „Mediation“ und auch dem „Coaching“ treu beleibe. Der Grund? In der Auftragsklärung, aber auch zuweilen mitten im Prozess, wird häufig deutlich, dass einzelne KundInnen in ihrer Frustration, Wut oder Erschöpfung gerne hätten, dass sie jemand an die Hand nimmt und ihnen sagt, was sie glauben und als nächstes tun sollen. Sie wünschen sich Erklärungen, die alles fassbarer und erträglicher machen, Entscheidungen, die sie nicht selber treffen müssen, Knöpfe, auf die sie drücken können und die alles wieder gut machen, und zuweilen auch jemanden, der sich den Konfliktpartner mal anhört und ihm dann sagt, wie falsch er liege und dass er eine Therapie brauche. Der Wunsch ist verständlich. Seine Umsetzung wäre nach meinem Verständnis nicht hilfreich. Der Begriff „Beratung“ fördert aber aus meiner Sicht diese Erwartung. Laut Wikipedia gibt es eine geläufige Auffassung der Beratungstätigkeit, die mit „in helfender Absicht Ratschläge erteilen“ umschrieben werden kann. Mit dieser Vorstellung im Kopf kann ich als KundIn erwarten, dass „Beratung“ drin ist, wenn „Beratung“ drauf steht. Das möchte ich vermeiden. Mit dem Ziel, meiner Kundschaft zu ermöglichen, eigene Erklärungen zu finden, Entscheidungen selbst zu treffen, selbst erfolgreicher zu kommunizieren und sich auf den eigenen Weg zu machen. Ich finde das viel befriedigender. Für alle.